„Shiprocked“ von Steve Conway Eine Buchrezension von Dr. Martin van der Ven Steve Conways neues englischsprachiges Buch „Shiprocked“ fesselt den Leser
von der ersten bis zur letzten Seite. Es schildert die dramatischen letzten
Sendejahre des Seesenders Radio Caroline an Bord der Ross Revenge von 1987 bis
1990. Mastbrüche, versagende Technik, „Überfall“ der niederländischen und
englischen Behörden, Versorgungsmängel,
Der Autor begann als gerade 22 Jahre junger Nachrichtensprecher im Februar 1987 an Bord und arbeitete dort später auch als Diskjockey und Programmverantwortlicher. Für den interessierten Leser hier einige
Anmerkungen, die das Vergnügen an dem längst überfälligen, lesenswerten Buch
keineswegs schmälern sollen: So gut wie nie werden Alkohol- oder gar Drogenexzesse geschildert (weil sie tatsächlich kaum vorkamen?). Auch Sexualität spielt in Steves Buch kaum eine Rolle (trotz so mancher Frauen an Bord). Homosexualität scheint ein Tabu, das der aus strengen katholischen Verhältnissen stammende irische Autor in seinem Buch niemals anspricht. Man merkt sofort: Es herrschten in Wirklichkeit ganz andere Verhältnisse vor, als sie in dem Kinofilm „The Boat That Rocked“ (deutsche Fassung: „Radio Rock Revolution“) fiktiv zur Darstellung kamen. Steve übernimmt und verfeinert als
Programmchef das strenge Musikformat der Station, das von Peter Philips
ausgeklügelt wurde und das dem DJ – im Gegensatz zu den 60er und 70er Jahren –
nur wenige Freiheiten ließ. Naserümpfend äußert er sich über die chaotische Zeit
zu Beginn der Sendungen von der Ross Revenge 1983/84, als „der eine Reggae, der
andere Blues“ spielte. Und an seinem Kollegen Dave Asher mit seiner
ungezügelten, spontanen, impulsiven Haltung vor dem Mikrofon und seinen
gekünstelten sprachlichen Akzenten l Besonders auffallend ist die tragende und alle anderen deutlich beherrschende Rolle der „Vaterfiguren“ Peter Chicago, Mike Watts und Ernie Stevenson (allesamt erfahrene Techniker). Aber auch Peter Philips, Kevin Turner und schließlich Steve Conway selbst übernehmen Verantwortung und sorgen für die notwendige Disziplin an Bord, der sich (fast) alle anderen unterordnen. So wirkt in Steves Erzählung der nur 5 Jahre jüngere „Little“ Steve Masters vergleichsweise fast wie ein (allerdings ebenfalls sehr angepasstes) Kind. Als plötzlich und unerwartet mit dem skurrilen Kapitän Jim eine weitere Vaterfigur auftaucht, wird diese schnell als „völlig inkompetenter“ Eindringling weggeekelt. Auffallend ist der riesige Abstand zu den Hörern, die nur am Rande im Buch erwähnt werden. Man bedenke allerdings, dass der Kontakt nur per Brief – mit Umweg über Spanien – möglich war. Zur damaligen Zeit gab es an Bord gab es weder Telefon noch SMS, E-Mail, Chat oder Twitter – es scheint, als läge die Erzählung schon Lichtjahre zurück. Nur einmal ist vom Besuch einiger – zum Teil fast etwas störend erlebter – „Anoraks“ die Rede. Als tatkräftiger, einfallsreicher Unterstützer an Land erweist sich vor allem Steves Freund John Burch vom „Caroline Movement“, einer Organisation begeisterter Hörer, ohne die die Ross Revenge zweifellos viel früher am Ende gewesen wäre. Von legendären Tenderkapitän Leendert Vingerling ist überraschender Weise niemals die Rede (immer nur von „Willie and Freddie“). Das Verhältnis zwischen den Niederländern und den Engländern wird im Übrigen als sehr distanziert beschrieben. Beide „Lager“ begegnen sich mit Misstrauen und Argwohn. Konkurrenzdenken und Neidgefühle werden deutlich (so wurden die Niederländer bezahlt, aber die englischen DJs mussten sich – ohne Bezahlung – für verschiedene Aufgaben an Bord verantwortlich zeigen). Für mich bislang unbekannt ist die Szene aus dem Sommer 1987, als die gesamte englische Crew mitten in der Nacht bewaffnet auf das Eintreffen des niederländischen Tenders Bellatrix wartet, weil man Fred Bolland Verrat unterstellt und auf den (niemals realisierten) Wechsel von Radio Monique zur MV Communicator eingestellt ist (Peter Chicago an Bord der Bellatrix gibt dann Entwarnung). Die Niederländer schienen in Steves Augen zwar unerlässlich als Geldgeber für die Sendungen von Radio Monique und später Radio 558/819 und World Mission Radio), wurden scheinbar aber mit wenigen Ausnahmen (Ad Roberts, Erwin van der Bliek) keine richtigen Freunde. Überraschend spielt der „Übervater“ Ronan O‘Rahilly als graue Eminenz bis zum Schluss des Buches eine tragende Rolle. Immer wieder trifft sich Steve mit ihm in der King’s Road. Ronan macht Vorschläge, gibt Anweisungen und überreicht sogar mehrfach – unter dem Tisch – größere Geldsummen! Mit dem seltsamen und vor allem kostspieligen Fiberglasmast aus Kanada setzt er sich gegenüber allen Bedenkenträgern problemlos durch und erleidet damit völligen Schiffbruch. Erstaunlicher Weise lässt sich Steve im Sommer 1991 von ihm überreden, als „Caretaker“ das längst von allen guten Geistern verlassene und seit Monaten still schweigende Sendeschiff auf hoher See monatelang zu bewachen, gemeinsam mit seiner Freundin und 4 Kollegen, ohne Seeleute und ohne Kapitän… Dr. Martin van der Ven
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